Dienstag, 8. Dezember 2009

In allen guten Stunden

Früher einmal, da konnte man das Fernsehen zwischen den Fernsehsendungen sehen. Dort in den Pausen, zwischen den Sendungen und Übertragungen, da war das Fernsehen bei sich, ohne daß eigentlich etwas passierte. Es gab einen neutralen Ruhezustand eines Fernsehsenders, ähnlich wie wie eine leere Theaterbühne. Oder eine neue Leinwand, ein weißes Papier. Es bedurfte eines besonderen Anstoßes, nämlich des Fernsehprogramms, damit diese leere elektrische Bühne sich mit Filmen, Serien, Shows und Zeichentrick füllen konnte. Den leeren Grundzustand, den wiederum konnte man in diesen Leerzeiten und Pausen sehen. In Testbildern, Umschaltpausen, beim Sendeschluss und den Fernsehansagerinnen.

Testbilder
Sie erinnern an die technischen Grundlagen des Fernsehens: ein Gitter, ein Kreis, Farbflächen, Farbverläufe, Text. Interessanterweise waren Testbilder immer statisch und bewegten sich nicht. Tatsächlich habe ich mir immer dazu vorgestellt, wie der Lehrling für Radio- und Fernsehtechnik der Radio- und Fernsehtechnik rittlings auf dem Dachfirst sitzt, die Antenne dreht und der Meister ruft Weiter Weiter Stop,bis das Testbild ausreichend klar, ausreichend gerade und ausreichend farbig eingestellt war. Bei der ARD gab es übrigens Radio, beim ZDF einen schrillen Testton dazu. Ein Windows-Startbildschirm ist ein entfernter Neffe des Testbilds.

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Leeres Leerbild

Umschaltpausen
Das gab es insbesondere bei der ARD, weil dort viel umgeschaltet werden mußte. Es gab ein Senderlogo zu sehen, und man stellte sich jetzt vor, wie im Hintergrund große Schalter umgelegt wurden und dazu gerufen wurde: Hallo hier ist der NDR, ist da der WDR in Köln? Bestätigen sie bitte, WDR, bitte bestätigen. Auch hier hatten die Sender etwas Seltsames dazuerfunden, nämlich kurze Tonfolgen, die bei jedem Sender verschieden waren. Ich habe keine andere Erklärung, als daß damit eine tödliche, bisweilen minutenlange Stille verhindert werden sollte. Die Geburt des Klingeltons, sozusagen. Hier eine wunderbare Liste. Beim WDR war die Tonfolge aus Beethovens op. 122 In allen guten Stunden abgeleitet: das Lied, die Tonfolge.

Sendeschluß
Zum Sendeschluß wurde auf Tafeln oder einem Laufband das Programm des nächsten Tages gezeigt. Zwischen Verabschiedung der Spätnachrichten und Testbild lag also noch eine kurze Frist, einige Minuten, in denen der Asbach Uralt in den Wohnzimmerschrank zurückgestellt wurde, die halbvolle Erdnussflipstüte eingedreht wurde und die Hörzu in die Sofaseitentasche gesteckt. Das Bild sah so aus, als hätte man das Fernsehprogramm mit der Schreibmaschine auf ein Stück Tapete geschrieben und anschließend abgefilmt. Als Musik wurde eine Art Nichtmusik dazugeliefert, die man heute manchmal noch beim Deutschlandfunk hört, wenn ein Interviewpartner hinzugeschaltet wird, instrumentaler Jazz ohne Jazzanteil, Nichtjazz, Erdnussflipskrümelmusik. Hier ein Beispiel.

Fernsehansagerin
Die gibt es praktisch nicht mehr. Interessant an der Fernsehansagerin bzw. auch dem Fernsehansager war, daß sich mit ihnen der Sender unmittelbar an den Zuschauer wandte. Das macht auch kein Nachrichtensprecher, denn er vertritt bestenfalls die Tagesschau und das Heute-Journal, nicht aber die ARD oder das ZDF. Die einzigen unmittelbaren Repräsentanten des Senders, ohne eigene Sendung, das waren die Fernsehansagerinnen. Der Hintergrund, vor denen sie saßen, genau das war für mich immer der Bayerische Rundfunk oder das Zweite Deutsche Fernsehen, Radio Bremen oder der Saarländische Rundfunk, den es äußerst selten gab. Es gab übrigens zwei Arten von Fernsehansagen: die kurze Zwischenansage, die sich auf eine einzige Sendung bezog, und die lange Ansage, mit der ein ganzer Fernsehabend eingeleitet wurde:

„Guten Abend, liebe Zuschauer. Willkommen zum Abendprogramm im Ersten.“

Interessant, daß es damals noch keine Zuschauerinnen-und-Zuschauer gegeben hat. Dann wurde tatsächlich das ganze Abendprogramm conferenciert – unfaßbar für heutige Ungeduldsspannen. Ich stelle mir vor, wie Heidrun von Goessel, Hanni Vanhaiden, Victoria Voncampe und Mady Riehl heute ihren Enkelinnen erklären, was sie damals eigentlich gemacht haben. Hier ein Beispiel.

Heute sind solche Pausen, Zwischenräume und sichtbare Fugen praktisch unvorstellbar. Im Audience Flow wäre es tödlich, ein solches Zwischenreich des unmittelbaren Kontakts zwischen Content-Provider und Konsument zuzulassen. In jeder Umschaltpause würde umgeschaltet, aber nicht vom NDR zum SR, sondern ab zu Pro 7. Vielleicht ist es weniger die höhere Geschwindigkeit, die unser Zeitalter auszeichnet, sondern die Pausenlosigkeit. Playlist statt Platte umdrehen, audience flow statt Fernsehansagerin. Unsichtbar bleibt allerdings jetzt auch der Fernsehsender. Er versteckt sich hinter seinen Sendungen, 24 Stunden lang, pausenlos.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

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