Dienstag, 16. November 2010

Die weißen Tauben sind müde

1. Im November 1980 wurde der „Krefelder Appell“ veröffentlicht, der als Gründungsdokument der Neuen Friedensbewegung gilt. Die Hauptforderung des Appells, der in den nächsten Jahren millionenfach unterschrieben wurde, war der Verzicht auf die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles, die gemäß Nato-Doppelbeschluß 1983 stationiert werden sollten. Man hatte also drei Jahre Zeit zum Dagegensein. Dreißig Jahre später erscheint das alles etwas angestaubt und komisch. Unglaublich aber, wie selbstgewiß die Friedensbewegung damals auftrat. Ein Einverständnis mit ihren Zielen versprach moralische Überlegenheit, das Dagegensein war sozusagen kriminell und faschistisch. Frieden schaffen ohne Waffen, das war in den Schulen und Universitäten Anfang der 80er Jahre der Mainstream.

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Haben viel zu schwere Flügel und ihre Schnäbel sind längst leer


2. Die prä-digitale Kopierer- und Ausschneide-Ästhetik der Flugblätter und Schriften ist heute allenfalls seltsam. Ebenso die appellative Grundhaltung aller dieser Schriften: man muß dagegen sein, protestieren, sich wehren, aufstehen etc. Es wurde gegangen, gelaufen, gekocht, gebacken, geschwiegen, gepfiffen und so weiter für den Frieden. Vor allem auch ostermarschiert. Es schien fast greifbar, an eine Umwidmung von Ostern zu denken, vom Auferstehungsfest zum Friedensfest, wobei für viele christlich gefärbte Bewegte das auch das gleiche war. Und für den Frieden war auch immer gegen Schmidt, gegen Kohl und vor allem gegen Reagan. Nachrüstung, Doppelbeschluss, Nulllösung wurden allgemein geläufige Begriffe, die heute allenfalls nostalgisch schimmern, ohne dass man genau wüßte, was eigentlich dahintersteckte. Bemerkenswert war auch, wie sehr sich die Friedensbewegung ausschließlich auf den Nachrüstungsbeschluß kaprizierte: gewiß war man gegen alle Atomwaffen im Allgemeinen, aber man kämpfte lieber gegen die Mittelstreckenraketen im Speziellen, als erreichbares Ziel. Allerdings auch als Ziel, das verfehlt werden konnte.

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Frau in langem Rock tritt gegen eine Bombe

3. Im November 1982 enterte ein ganz seltsames Lied die deutschen Hitparaden. Hans Hartz sang „Die weißen Tauben sind müde“. Hartz war weder Mitglied der Friedensbewegung noch der Neuen Deutschen Welle, sondern war irgendwie dazwischen, trat auch in der ZDF-Hitparade an und erinnert mich bis heute vor allem an Klaus Lage (mal sehr neutral formuliert). In den müden weißen Tauben textete er allerdings sehr prophetisch, obwohl diese Zeilen gewiß anders gemeint sind:

Die weißen Tauben sind müde, sie fliegen lange schon nicht mehr. /
Sie haben viel zu schwere Flügel; und ihre Schnäbel sind längst leer, /
jedoch die Falken fliegen weiter, sie sind so stark wie nie vorher; /
und ihre Flügel werden breiter, und täglich kommen immer mehr, /
nur weiße Tauben fliegen nicht mehr.

Das hat sich alles auf eine merkwürdig verdrehte Weise als richtig herausgestellt. Im Jahr 1981, als das Lied ursprünglich entstand, konnte das Hans Hartz allerdings nicht wissen.

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Weiß, mit Flügeln, aber keine Taube

4. Dann war es im November 1983 vorbei: die Kohl-Regierung beschloß endgültig, dass die Raketen aufgestellt werden. Es gab natürlich noch erhebliche Proteste, Demonstrationen, Ostermärsche etc., aber die Luft war tatsächlich jetzt heraus, so ähnlich wie bei der Neuen Deutschen Welle. Es gibt heute eine weitere Neigung, die Geschehnisse zu verklären: gerade durch die Stationierung wurde die UdSSR gezwungen, weiter in den Rüstungswettlauf einzusteigen, damit war sie ruiniert, und Gorbatschow hat sie dann abgewickelt usw. usw. Aber: war das wirklich so?

5. Das wichtigste Ereignis für den Beginn der Abrüstung und das Ende des Kalten Kriegs hatte schon längst stattgefunden, ohne dass es jemand bemerkt hätte. Es war das Jahr 1974, und Grigori Wassiljewitsch Romanow, Erster Sekretär des Gebietskomitees von Leningrad und Mitglied des ZK der KPdSU, ließ die Hochzeit seiner Tochter feiern. Nicht nur, dass er zur Hochzeitsfeier in der Eremitage auftischte, sondern er ließ auch das Porzellan der Zarin Katharina II. eindecken. Offenbar war es eine laute und fröhliche Hochzeit, denn es ging einiges zu Bruch. Aber das war zunächst nicht schlimm. Romanow machte weiter Karriere und Anfang der Achtziger galt der extrem konservative und betonköpfige Politiker als erster Anwärter auf den Posten des Generalsekretärs. Bis ein gewisser Herr Gorbatschow begann, gezielt Gerüchte über die Hochzeitsfeier zu streuen. Eremitage, die Zarin, das zerstörte Porzellan und dann noch der unglückliche Nachname Romanow – das war alles etwas zu viel. Und 1985 mußte er sogar aus dem ZK zurücktreten. Hätte es nicht diese Feier gegeben, wäre er wahrscheinlich Generalsekretär geworden. Er wurde übrigens steinalt und ist erst 2008 mit 85 Jahren gestorben. Also kurz vor der 60-Jahr-Feier der DDR.

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Das Porzellan, das den Kalten Krieg entschied

6. Und damit ist die Geschichte ganz anders verlaufen, als man das sich damals so gedacht hat. Immerhin ist dabei nur ein bißchen Porzellan kaputt gegangen. Besser als gleich die ganze Welt.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

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