Fernsehen

Montag, 1. Februar 2010

Imogen

Die Rognitzstraße ist eine kurze, leicht zu übersehende Straße am Berliner Funkturm. Sie wird vom achtspurigen Kaiserdamm in der Mitte zerschnitten, so daß von ihrem südlichen Teil kaum mehr ein 100m langer Stummel zwischen S-Bahn-Trasse, Autobahn und einer Brache zum Messedamm übrig bleibt. Sie ist zwar von vielbefahrenen Straßen umgeben, aber sie selbst ist seltsam verlassen und abgelegen. Als Vorbeifahrender übersieht man sie oder hält sie für eine Grundstückseinfahrt. An der östlichen Straßenseite verläuft ein Geländer zur S-Bahn-Trasse und Stadtautobahn, die hier den Kaiserdamm unterqueren. Es ist laut. Die einzigen Passanten hasten von der S-Bahn-Station Messe-Nord zum Finanzamt. Sie laufen an einem hellblauen Gebäude vorüber, das die Telekom vor einigen Jahren aufgegeben hat. Vorher war hier dort eine unwichtige Abteilung von T-Systems untergebracht, aber selbst denen war es hier zu sehr Sibirien. Die Rolläden im Erdgeschoß sind heruntergelassen. An der Südseite sind einige lustlose Graffiti.

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Video Killed The Rundfunkstar


Und doch ist es ein ganz bemerkenswerter Ort. Genau hier, an dieser Stelle, wurde das Fernsehen erfunden. Das Gebäude gehörte früher der Deutschen Reichspost, uns hier war das Fernsehlaboratium, in dem ab Ende der Zwanzigerjahre die technischen Grundlagen des Fernsehens gelegt wurden, und zwar als weltweite Pioniere. Hier, genau hier hat alles angefangen, von Peter Frankenfeld über das Laufende Band bis Denver Clan, den Simpsons und den Gilmore Girls.

Eine interessante Frage ist, was denn so ganz im Anfang gezeigt wurde. Vielleicht erinnert sich noch jemand an den Film „Contact“ mit Jodie Foster. Die Außerirdischen von der Wega senden die ersten Fernsehsignale zurück, die sie von der Erde empfangen haben. Es handelt um Hitlers Eröffnungsrede von den Olympischen Spielen. Das ist natürlich Blödsinn, aber weiß man überhaupt noch, wer die ersten Personen waren, die jemals im Fernsehen zu sehen waren?

Man weiß es. Sie hießen Imogen Orkutt und Schura von Finkelstein.

Ab 1929 gab es Versuchssendungen der Reichspost, bei denen tonlose Testbilder übertragen wurden. Allerdings waren es keine starren geometrischen Testbilder, sondern immer wieder täglich derselbe einzige Film. Es war ein Versuchsfilm mit den zwei Mädchen, den man im vorangegangenen Jahr am Wannsee gedreht hatte. Diese beiden Mädchen waren die ersten Menschen, die als Fernsehbild übertragen wurden. Zwei Mädchen in Badeanzügen singen ein Lied (es ist übrigens „Horch was kommt von draußen rein“) und lachen sich an. Das war der Anfang vom Fernsehen.

Dazu kurz zu den technischen Grundlagen: Fernsehen unterscheidet sich grundlegend vom Kino. Beim (analogen) Kino wird einfach das belichtete, transparente Zelluloid durchleuchtet und damit erscheint ein Bild auf der Leinwand. Beim Fernsehen ist das nicht möglich, denn man würde ja für jeden Bildpunkt (Pixel) einen eigenen Übertragungskanal verbrauchen. Also wird das Bild einfach gerastert und zeilenweise ausgelesen: ein Fernsehbild wird nicht in einem Stück übertragen, sondern es wird abgetastet. Das gilt im wörtlichen Sinne für die ersten Fernsehansagerinnen, die in winzigen Kabinen saßen und sich von der Fernsehkamera abstrahlen lassen mußten. Um nun nicht immer nur live senden zu müssen, griff man zu einem Trick, um Filme übertragen zu können: man legte den Film in einen sog. Linsenkranzabtaster, der den Zelluloidfilm ableuchtete und zu einem Fernsehbild rasterte. So war es möglich, daß der Film mit den Mädchen dauernd wiederholt ausgestrahlt werden konnte.

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Links Imogen Orkutt, rechts Schura von Finkelstein


Die ersten Fensehzuschauer waren mehr oder weniger interessierte Amateure mit winzig kleinen Bildschirmen. In der Anfangszeit waren die Gesichter mehr oder weniger vermatschte Flecken, aber mit zunehmender Auflösung stieg auch die Bildqualität. Irgendwann konnte man sogar den Leberfleck auf Schura von Finkelsteins Gesicht entdecken. Es gab auch damals schon Fernseh-Zeitschriften, allerdings völlig anders als heute: die Fernsehtechnik-Amateure tauschten sich dort aus, bei welchem Wetter, mit welcher Antenne und an welcher Stelle sie Imogen und Schura am besten empfangen hatten.

Einige Jahre später war die Technik dann so weit entwickelt, daß man während der Olympischen Spiele ein Live-Programm in öffentlichen Fernsehstuben zeigen konnte. So ist es nicht ohne Ironie, daß ganz am Anfang des Fernsehens ein Konzept sehr wichtig war, das erst viel später richtig erfolgreich wurde: das Public Viewing. 1936 in den Fernsehstuben der Reichspost und 2006 auf der WM-Fanmeile. Und schon ab 1937 übertrag man erste Fernsehshows. Wer weiß – vielleicht findet man noch irgendwo eine Aufzeichnung von Wer wird Millionär? in Reichsmark.

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So läuft das Fernsehgeschäft: Frischluft von oben rechts
(Quelle: Lipfer, Fernsehen, 1938)

Aber zurück zu den beiden Fernsehmädchen: die beiden haben für die Aufnahmen je 25 Mark bekommen. Imogen arbeitete als Verkäuferin von Kinderkleidung, schauspielerte ein wenig und heiratete 1931 den Chirurg Georg Cohn. 1939 flohen sie nach Palästina. Sie ist sogar später nach Deutschland zurückgekehrt. Bis 1990 hatte sie einen kleinen Tabakladen in München, direkt neben dem Arri-Kino in der Türkenstraße. Damit ist die Wahrscheinlichkeit extrem hoch, daß die erste Frau im Fernsehen mir irgendwann einmal ein Schachtel Zigaretten verkauft hat. Wahrscheinlich eine P&S. Im Jahr 2000 ist sie mit 93 Jahren gestorben.

Dienstag, 8. Dezember 2009

In allen guten Stunden

Früher einmal, da konnte man das Fernsehen zwischen den Fernsehsendungen sehen. Dort in den Pausen, zwischen den Sendungen und Übertragungen, da war das Fernsehen bei sich, ohne daß eigentlich etwas passierte. Es gab einen neutralen Ruhezustand eines Fernsehsenders, ähnlich wie wie eine leere Theaterbühne. Oder eine neue Leinwand, ein weißes Papier. Es bedurfte eines besonderen Anstoßes, nämlich des Fernsehprogramms, damit diese leere elektrische Bühne sich mit Filmen, Serien, Shows und Zeichentrick füllen konnte. Den leeren Grundzustand, den wiederum konnte man in diesen Leerzeiten und Pausen sehen. In Testbildern, Umschaltpausen, beim Sendeschluss und den Fernsehansagerinnen.

Testbilder
Sie erinnern an die technischen Grundlagen des Fernsehens: ein Gitter, ein Kreis, Farbflächen, Farbverläufe, Text. Interessanterweise waren Testbilder immer statisch und bewegten sich nicht. Tatsächlich habe ich mir immer dazu vorgestellt, wie der Lehrling für Radio- und Fernsehtechnik der Radio- und Fernsehtechnik rittlings auf dem Dachfirst sitzt, die Antenne dreht und der Meister ruft Weiter Weiter Stop,bis das Testbild ausreichend klar, ausreichend gerade und ausreichend farbig eingestellt war. Bei der ARD gab es übrigens Radio, beim ZDF einen schrillen Testton dazu. Ein Windows-Startbildschirm ist ein entfernter Neffe des Testbilds.

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Leeres Leerbild

Umschaltpausen
Das gab es insbesondere bei der ARD, weil dort viel umgeschaltet werden mußte. Es gab ein Senderlogo zu sehen, und man stellte sich jetzt vor, wie im Hintergrund große Schalter umgelegt wurden und dazu gerufen wurde: Hallo hier ist der NDR, ist da der WDR in Köln? Bestätigen sie bitte, WDR, bitte bestätigen. Auch hier hatten die Sender etwas Seltsames dazuerfunden, nämlich kurze Tonfolgen, die bei jedem Sender verschieden waren. Ich habe keine andere Erklärung, als daß damit eine tödliche, bisweilen minutenlange Stille verhindert werden sollte. Die Geburt des Klingeltons, sozusagen. Hier eine wunderbare Liste. Beim WDR war die Tonfolge aus Beethovens op. 122 In allen guten Stunden abgeleitet: das Lied, die Tonfolge.

Sendeschluß
Zum Sendeschluß wurde auf Tafeln oder einem Laufband das Programm des nächsten Tages gezeigt. Zwischen Verabschiedung der Spätnachrichten und Testbild lag also noch eine kurze Frist, einige Minuten, in denen der Asbach Uralt in den Wohnzimmerschrank zurückgestellt wurde, die halbvolle Erdnussflipstüte eingedreht wurde und die Hörzu in die Sofaseitentasche gesteckt. Das Bild sah so aus, als hätte man das Fernsehprogramm mit der Schreibmaschine auf ein Stück Tapete geschrieben und anschließend abgefilmt. Als Musik wurde eine Art Nichtmusik dazugeliefert, die man heute manchmal noch beim Deutschlandfunk hört, wenn ein Interviewpartner hinzugeschaltet wird, instrumentaler Jazz ohne Jazzanteil, Nichtjazz, Erdnussflipskrümelmusik. Hier ein Beispiel.

Fernsehansagerin
Die gibt es praktisch nicht mehr. Interessant an der Fernsehansagerin bzw. auch dem Fernsehansager war, daß sich mit ihnen der Sender unmittelbar an den Zuschauer wandte. Das macht auch kein Nachrichtensprecher, denn er vertritt bestenfalls die Tagesschau und das Heute-Journal, nicht aber die ARD oder das ZDF. Die einzigen unmittelbaren Repräsentanten des Senders, ohne eigene Sendung, das waren die Fernsehansagerinnen. Der Hintergrund, vor denen sie saßen, genau das war für mich immer der Bayerische Rundfunk oder das Zweite Deutsche Fernsehen, Radio Bremen oder der Saarländische Rundfunk, den es äußerst selten gab. Es gab übrigens zwei Arten von Fernsehansagen: die kurze Zwischenansage, die sich auf eine einzige Sendung bezog, und die lange Ansage, mit der ein ganzer Fernsehabend eingeleitet wurde:

„Guten Abend, liebe Zuschauer. Willkommen zum Abendprogramm im Ersten.“

Interessant, daß es damals noch keine Zuschauerinnen-und-Zuschauer gegeben hat. Dann wurde tatsächlich das ganze Abendprogramm conferenciert – unfaßbar für heutige Ungeduldsspannen. Ich stelle mir vor, wie Heidrun von Goessel, Hanni Vanhaiden, Victoria Voncampe und Mady Riehl heute ihren Enkelinnen erklären, was sie damals eigentlich gemacht haben. Hier ein Beispiel.

Heute sind solche Pausen, Zwischenräume und sichtbare Fugen praktisch unvorstellbar. Im Audience Flow wäre es tödlich, ein solches Zwischenreich des unmittelbaren Kontakts zwischen Content-Provider und Konsument zuzulassen. In jeder Umschaltpause würde umgeschaltet, aber nicht vom NDR zum SR, sondern ab zu Pro 7. Vielleicht ist es weniger die höhere Geschwindigkeit, die unser Zeitalter auszeichnet, sondern die Pausenlosigkeit. Playlist statt Platte umdrehen, audience flow statt Fernsehansagerin. Unsichtbar bleibt allerdings jetzt auch der Fernsehsender. Er versteckt sich hinter seinen Sendungen, 24 Stunden lang, pausenlos.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

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